COVID-19: Auswirkungen auf Bauverträge und vertragliche Vorkehrungen
Die österreichische Bundesregierung sowie unsere Nachbarländer geben laufend Maßnahmen zur weiteren Eindämmung der Verbreitung des Corona Virus (COVID-19) bekannt. Dies hat natürlich auch gravierende Auswirkungen auf die österreichische Bauwirtschaft sowie auf laufende Verträge. Durch Lieferengpässe, Produktionsstopps und eine eingeschränkte Verfügbarkeit von Arbeitskräften kann es zu Betriebsschließungen, Stehzeiten und Bauverzögerungen oder auch zu Preissteigerungen (etwa bei Baustoffen aus China) kommen. Es stellt sich die Frage, wer die daraus resultierenden Mehrkosten zu tragen hat und wie man sich vertraglich am besten schützen kann. Welche Möglichkeiten bestehen für Unternehmer, die ihren vertraglichen Verpflichtungen aufgrund der aktuellen Lage nicht nachkommen können? Besteht die Gefahr von Schadenersatzforderungen?
Anwendbares Recht prüfen!
Um die rechtlichen Auswirkungen auf laufende Geschäftsbeziehungen im Bereich der Bauwirtschaft beurteilen zu können, ist es zunächst entscheidend, ob es sich um eine grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit mit einem „internationalen Vertrag“ oder ein rein österreichisches nationales Geschäft handelt.
Davon hängt nämlich ab, welches Recht auf den jeweiligen Vertrag Anwendung findet. Dazu ist zunächst zu überprüfen, ob im Vertrag eine Rechtswahl getroffen wurde oder nicht. Fehlt hingegen eine Rechtswahlklausel, regelt die Rom I-Verordnung (EU-Verordnung mit kollisionsrechtlichen Bestimmungen über vertragliche Schuldverhältnisse), welches nationale Recht anzuwenden ist.
Bei einem Vertrag zwischen zwei österreichischen Vertragspartnern – von dem wir hier im Bereich des Baurechts im Regelfall ausgehen – kommt auch ohne Rechtswahl von Gesetzes wegen österreichisches Recht zur Anwendung.
Force Majeure Klauseln? Regelungen zu „höherer Gewalt“?
Neben der Beurteilung, welches Recht auf den konkreten Vertrag anwendbar ist, muss beurteilt werden, ob es Vertragsbestimmungen gibt, welche explizit Fälle sogenannter „höherer Gewalt“ behandeln. Im internationalen Wirtschaftsverkehr spricht man dabei in der Regel von sogenannten „Force-Majeure“ Klausen.
Dabei ist die vertraglich im Einzelfall vorgesehene Definition der „höheren Gewalt“ zu prüfen und zu beurteilen, welcher Sphäre diese zuzuordnen ist. Ist die Vertragsklausel – wie üblich – weit genug formuliert, sodass man auch Epidemien darunter subsumieren kann, kommen die im Vertrag vorgesehenen besonderen Rechtsfolgen zur Anwendung.
Übliche vertragliche Rechtsfolgen bei Eintritt eines Ereignisses höherer Gewalt sind Verständigungspflichten, Rücktrittsrechte, Entfall der Leistungspflichten sowie Haftungsausschlüsse. In der Regel ist auch vorgesehen, dass Pönalen in solchen Fällen nicht anwendbar sind. Je besser der Vertrag, desto klarer lassen sich die Rechtsfolgen direkt aus diesem ableiten.
COVID 19 als höhere Gewalt?
Gibt es eine solche Klausel mit einer konkreten Definition nicht, gilt das (dispositive) Recht des ABGB. Die deutsche und österreichische Rechtsprechung geht bei „höherer Gewalt“ von einem Ereignis aus, dass nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste (nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende) Sorgfalt nicht verhütet werden kann und nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen ist. Zu diesen Situationen zählen etwa Naturkatastrophen, Krieg, Bürgerkrieg, Revolution, Embargo, Terrorismus, Plünderungen, Wegsperren usw, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht voraussehbar gewesen sein dürfen. Es ist also in rechtlicher Hinsicht jedenfalls anzunehmen, dass auch die weltweiten Auswirkungen von COVID 19 unter diese Definition fallen. Der OGH hat im Jahr 2005 schließlich auch die Viruskrankheit SARS als „höhere Gewalt“ eingestuft.
Rechtsfolgen ohne Force Majeur Klausel
In rein schadenersatzrechtlicher Hinsicht bedeutet höhere Gewalt in aller Regel, dass der nicht ordnungsgemäß leistende Unternehmer (bei Lieferverzügen oder Ausfällen etc.) nicht für die Folgen aus so einem Ereignis haften muss. Die Erklärung höherer Gewalt kann es einer Vertragspartei also ermöglichen, die schadenersatzrechtliche Haftung für die Nichterfüllung zu vermeiden.
Das bedeutet jedoch nicht, dass der Bauunternehmer völlig leistungsfrei gestellt wird. Der Bauvertrag wird in der Regel als Werkvertrag qualifiziert. Der Bauunternehmer schuldet einen Erfolg. Für Werkverträge gelten gemäß § 1168 ABGB und der darin enthaltenen „Sphärentheorie“ eigene Regeln der Risikozuordnung. Entscheidend ist daher der Grund, warum die Leistung unterbleibt. Der Bauunternehmer, der wie gesagt einen Erfolg schuldet, trägt grundsätzlich auch die Gefahr für Ereignisse der „neutralen Sphäre“, worunter auch unvorhergesehene Umstände (wie Epidemien) fallen können.
Aus der COVID 19-Epidemie resultierende Leistungshindernisse können vorhergesehen oder unvorhergesehen, ursprünglich oder nachträglich, dauernd oder vorübergehend, überwindbar oder unüberwindbar sein. Je nachdem wie das konkrete „Problem“ auf der Baustelle qualifiziert werden kann, ergeben sich sehr unterschiedliche Rechtsfolgen. Die Abgrenzung fällt dabei nicht immer leicht. Dabei muss beurteilt werden, ob die vereinbarte Leistung des Bauunternehmers bloß nicht rechtzeitig erbracht werden kann (Fälle des Verzugs), dauerhaft nicht erbracht werden kann (Fälle nachträglicher Unmöglichkeit) oder die Leistung mangelhaft erbracht wird (Fälle der Gewährleistung). Denkbar sind auch Konstellationen, bei denen mit einem „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ argumentiert werden kann, weil sich von beiden Vertragsparteien angenommene wesentliche Grundannahmen und Erwartungen nicht erfüllen.
Die Rechtsfolgen für einen Bauvertrag, der sich ausschließlich nach gesetzlichen Regelungen richtet, sind aufgrund der genannten Vielzahl der Fallkonstellationen nur nach sehr eingehender rechtlicher Analyse beurteilbar. Diese Verträge stellen in der Praxis jedoch (zum Glück) die Ausnahme dar. Vor allem bei größeren Bauvorhaben werden die Rechtsfolgen „höherer Gewalt“ ausdrücklich vertraglich festgelegt.
Gilt die ÖNORM B 2110?
Bei der ÖNORM B 2110 handelt es sich nicht um eine rechtlich bindende Vorschrift, sondern um eine Vertragsschablone, die vereinbart werden kann, wobei sie dann, wie bei allgemeinen Geschäftsbedingungen, zumindest konkludent vereinbart werden muss. In Österreich liegt die ÖNORM B 2110 vielen Bauverträgen zu Grunde.
Bei Bauverträgen, denen die ÖNORM B 2110 zugrunde gelegt wurde, werden in Pkt 7.2.1 der Sphäre des Auftraggebers (des Bauherrn) Ereignisse zugeordnet, wenn diese (1) die vertragsgemäße Ausführung der Leistungen objektiv unmöglich machen, oder (2) zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Auftragnehmer nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind. Die ÖNORM B 2110 schafft damit für Bauunternehmer im Vergleich zu § 1168 ABGB eine deutlich bessere rechtliche Ausgangslage.
Beachtenswert im Zusammenhang mit der ÖNORM B 2110 ist auch Pkt. 8.6, wonach bei einer unvorhergesehenen Unterbrechung von 3 Monaten, wenn kein Rücktritt erfolgt, auf Verlangen eines Vertragspartners die ausgeführten Leistungen (bei Pauschalpreisen verhältnismäßig) abzurechnen und zu bezahlen sind.
Schadensminderungspflicht beachten, Vertragspartner informieren und „Beweise“ sammeln!
Unabhängig von der konkreten vertraglichen Konstellation ist jedenfalls zu beachten, dass sich keine der Vertragsparteien in einem Fall höherer Gewalt einfach zurücklehnen darf. Es gilt generell immer die sogenannte Schadensminderungspflicht, die verlangt, den Geschäftspartner immer unmittelbar über allfällige Schwierigkeiten zu informieren und alle möglichen Maßnahmen zu setzen um Schäden zu minimieren.
Im Fall eines Rechtsstreites ist es unbedingt erforderlich, entsprechende Nachweise parat zu haben, die belegen, dass die Leistungserbringung aufgrund höherer Gewalt tatsächlich nicht erfolgen konnte und ein Ausweichen auf andere Maßnahmen (neue Lieferketten, Einstellung neuer Leiharbeiter etc.) nicht möglich oder zumutbar war.
Vorsicht: Vertragliche Vorkehrung bei Abschluss neuer Verträge („Corona-Klauseln“)
Es geht also bei vertraglichen Fällen höherer Gewalt stets um ein außergewöhnliches Ereignis, das nicht in einer gewissen Häufigkeit und Regelmäßigkeit vorkommt und zu erwarten ist. Dabei ist besonders wichtig, zu beachten, dass diese Situation der höheren Gewalt zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zwischen den Vertragsparteien eben noch nicht vorhersehbar und erwartbar gewesen ist.
Werden daher zum jetzigen Zeitpunkt, zu welchem bereits aufgrund verfügbarer Informationen vernünftigerweise erwartbar ist, dass es zu Schwierigkeiten bei der Leistungserbringung kommen könnte, neue Verträge abgeschlossen, kann sich eine Partei unter Umständen nicht (mehr) auf diese besondere Ausnahmesituation berufen. Es ist also bei Vertragsabschlüssen in der jetzigen Situation besondere Vorsicht geboten. Eine Berufung auf COVID 19 als höhere Gewalt ist bei Neuverträgen sicherlich schwierig, wenn vertraglich dafür keine Vorkehrungen getroffen wurden.
Es ist daher ganz dringend zu empfehlen, die aktuelle Situation am besten durch eine eigene Klausel (eine konkrete „Corona“-Klausel) im Vertrag direkt anzusprechen und die Rechtsfolgen von Lieferschwierigkeiten und Verzögerungen im Detail festzulegen. Dies verhindert kostspielige und langwierige Streitigkeiten im Nachhinein.