Update: Insolvenzantragspflicht und Insolvenzgründe in Coronazeiten

  1. Insolvenzeröffnungsgründe

1.1. Generell

Das österreichische Insolvenzrecht kennt als Insolvenzeröffnungsgründe die Zahlungsunfähigkeit (§ 66 IO) und – unter anderem – bei juristischen Personen und Personengesellschaften, bei denen kein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist („GmbH & Co KG“), die insolvenzrechtliche Überschuldung (§ 67 IO).

Zahlungsunfähig ist, wer „mangels bereiter Zahlungsmittel nicht in der Lage ist, alle seine fälligen Schulden zu bezahlen und sich die erforderlichen Zahlungsmittel voraussichtlich auch nicht alsbald verschaffen kann“. [1] Entscheidend ist somit zunächst, ob die verfügbare Liquidität [2] zur Abdeckung der fälligen Verbindlichkeiten ausreicht.

Der Insolvenzeröffnungsgrund der Überschuldung nach österreichischem Recht (vgl. § 67 IO) setzt voraus, dass sowohl ein Vermögensstatus zu Liquidationswerten negativ ist, als auch, dass keine positive Fortbestehensprognose erstellt werden kann.

Im Vermögensstatus sind Aktiva zu Liquidationswerten anzusetzen (also mit jenem Wert, der wahrscheinlich bei einer – kurzfristigen – Zerschlagung erzielbar wäre). Passivseitig sind alle fälligen und nichtfälligen Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, die im Zuge einer Liquidation zu bedienen wären.

Die Fortbestehensprognose muss kurz- bzw. mittelfristig die Aufrechterhaltung der Zahlungsunfähigkeit („Primärprognose“ über idR 6-12 Monate) und eine nachhaltige Trendumkehr bzw. eine künftige positive Unternehmensentwicklung („Sekundärprognose“ über idR 2-3 Jahre) darstellen, um positiv zu sein. Es ist „mit Hilfe sorgfältiger Analysen von Verlustursachen, eines Finanzierungsplans sowie der Zukunftsaussichten der Gesellschaft die Wahrscheinlichkeit der künftigen Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu prüfen“, [3] wobei geplante Sanierungsmaßnahmen in diese Überlegungen einzubeziehen sind. Der Fortbestehensprognose ist eine realistische Einschätzung der künftigen Erträge und Aufwendungen zu Grunde zu legen. [4] Die Zahlungsfähigkeit und Lebensfähigkeit des Unternehmens müssen dabei mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein. [5]

Es ist die Aufgabe der Geschäftsleitung, Krisenindikatoren im Auge zu behalten und die Situation der Gesellschaft laufend zu überprüfen.

1.2. Insolvenzzustand durch die Corona-Krise

Infolge starker Umsatzrückgänge als Folge der Corona-Maßnahmen ist die Aufrechterhaltung der Liquidität für viele Unternehmen eine große Herausforderung. Häufig steht zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit (die Planung ergibt, dass in naher Zukunft Zahlungsunfähigkeit eintreten wird) im Raum.

Ist allerdings anzunehmen, dass die Unterdeckung nicht von Dauer ist und in absehbarer Zeit wieder genügend Liquidität vorhanden sein wird, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor, sondern eine bloße Zahlungsstockung. Diese verpflichtet noch nicht zur Insolvenzantragstellung. Eine Beurteilung im Vorhinein muss den Schluss zulassen, dass die erforderlichen Mittel in naher Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit beschafft werden können. Die Rechtsprechung hat dafür – abhängig vom Einzelfall – einen Zeitraum von zwei bis fünf Monaten gewährt (Diesen Entscheidungen lagen jedoch allesamt keine mit der Corona-Krise vergleichbaren Umstände zu Grunde, sodass im Einzelfall unter Umständen sogar ein längerer Zeitraum gerechtfertigt werden kann).

Die Regierung arbeitet laufend an Maßnahmen, die UnternehmerInnen unterstützen sollen. Dazu gehören im Wesentlichen Steuerbegünstigungen (Stundungen und Steuerreduktionen), Umsatzkompensation für betroffene Unternehmen sowie Garantie- und Haftungsübernahmen. Bis dato sind folgende Maßnahmen zur Unterstützung der Liquidität von betroffenen Unternehmen in Kraft bzw. in Umsetzung:

Antragsstellungen für betroffene EPU/KMU (außer Tourismus) sind ab sofort unter aws Garantien für Überbrückungsfinanzierungen möglich.

Für Hotel- und Tourismusbetriebe besteht eine entsprechende Finanzierungsmöglichkeit über die ÖHT (https://www.oeht.at/produkte/coronavirus-massnahmenpaket-fuer-den-tourismus/)

  • Ab sofort können Exportunternehmen – mit Unterstützung ihrer Hausbank – einen Kreditrahmen in Höhe von 10 Prozent (Großunternehmen) bzw. 15 Prozent (Klein- und Mittelunternehmen) ihres Exportumsatzes bei der OeKB beantragen. Die Höchstgrenze liegt dabei pro Kunden bei 60 Millionen Euro. (https://www.oekb.at/oekb-gruppe/news-und-wissen/news/2020/covid-19-hilfe.html)
  • Zuschüsse aus dem Corona-Hilfsfonds für Unternehmen:
    • deren Standort und Geschäftstätigkeit in Österreich ist und deren Fixkosten in Österreich operativ anfallen
    • im Jahr 2020 während der Corona-Krise einen Umsatzverlust von zumindest 40%, verursacht durch die Ausbreitung von COVID-19
    • welche sämtliche zumutbare Maßnahmen setzen, um die Fixkosten zu reduzieren und die Arbeitsplätze in Österreich zu erhalten
    • die vor der Covid-19-Krise ein gesundes Unternehmen waren.

Diese Zuschüsse müssen nicht zurückbezahlt werden.

Ausgenommen sind hier Unternehmen, die mehr als 250 Mitarbeiter zum 31.12.2019 beschäftigt haben und Mitarbeiter gekündigt haben statt Kurzarbeit nach Ausbruch der COVID-19-Krise in Anspruch zu nehmen. Ausgenommen ist zudem der gesamte Finanz- und Versicherungsbereich.  (https://www.wko.at/service/faq-corona-hilfs-fonds.html#heading_Zuschuesse)

  • Zuschüsse aus dem Härtefall-Fonds, die nicht zurückbezahlt werden müssen. Diese Zuschüsse sollen die Lebenserhaltungskosten der Unternehmer abdecken und sind als 2 Phasen-System ausgestaltet. Diese kommen in Betracht für:
    • Ein-Personen-Unternehmer
    • Kleinstunternehmer als natürliche Person, die weniger als 10 Vollzeit-Äquivalente beschäftigen und max. 2 Mio. Euro Umsatz oder Bilanzsumme aufweisen
    • Erwerbstätige Gesellschafter, die nach GSVG/FSVG pflichtversichert sind
    • Neue Selbständige wie z.B. Künstler, Journalisten, Psychotherapeuten
    • Freie Dienstnehmer wie Trainer oder Vortragende
    • Freie Berufe

(https://www.wko.at/service/haertefall-fonds-epu-kleinunternehmen.html)

  • Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) hat ein Maßnahmenpaket gegen kurzfristige Liquiditätsengpässen der Dienstgeber geschnürt.
    • Ausständige Beiträge werden nicht gemahnt
    • Automatische Stundung nicht, nur teilweise oder verspätet bezahlter Beiträge ohne Anfallen von Verzugszinsen
    • Ratenzahlungsersuchen werden formlos akzeptiert
    • Keine Eintreibungsmaßnahmen werden gesetzt
    • Keine Insolvenzanträge werden gestellt
    • keine Säumniszuschläge für coronabedingte verspätete Beitragsgrundlagenmeldungen

(https://www.gesundheitskasse.at/cdscontent/?contentid=10007.857702)

  • Das Finanzministerium gewährt Unterstützung durch:
    • Herabsetzung von Steuervorauszahlung
    • Nichtfestsetzung von Anspruchszinsen
    • Gewährung von Zahlungserleichterungen (Raten, Stundung)
    • Nichtfestsetzung bzw. Herabsetzung von Säumniszuschlägen
    • Fristerstreckung für die Abgabe von Jahressteuererklärungen für 2019
    • Nichtfestsetzung von Verspätungszuschlägen

Entsprechende Antragsformulare finden Sie hier: https://www.bmf.gv.at/public/informationen/coronavirus-hilfe.html

Sofern die Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten werden kann, müssen sich vor allem Unternehmen mit geringer Eigenkapitalsituation die Frage stellen, inwieweit der Betrieb mittelfristig positiv geführt werden kann bzw. inwieweit allenfalls eine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt. Die derzeitige Situation macht Planungsrechnungen schwierig und unsicherheitsbehaftet. Der Rückgriff auf historische Ist-Zahlen ist nur noch sehr eingeschränkt möglich. Deshalb hat der Gesetzgeber die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt, wenn keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, sondern nur eine insolvenzrechtliche Überschuldung, die zwischen 01.03.2020 und 30.06.2020 eingetreten ist. In der Praxis ist hier problematisch, dass der Zeitpunkt des Eintritts der Überschuldung insbesondere im Nachhinein oft schwierig zu bestimmen ist.

Dies befreit die Geschäftsleitung jedoch – insbesondere für den Zeitraum nach dem 30.06.2020 – nicht von der Pflicht, im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Planung Prognosen über den zukünftigen Fortbestand des Unternehmens anzustellen. Die Ersteller von Planrechnungen bzw. Fortbestehensprognosen stehen derzeit vor großen Herausforderungen, weil die antizipative Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen sowohl in der Bedeutung für die Planung zunimmt, als auch deutlich schwieriger wird. Eine genaue Beobachtung insbesondere der weiteren staatlichen Maßnahmen (sowohl der Einschränkungen, als auch der Unterstützungsmaßnahmen) und eine möglichst genaue Einschätzung der Auswirkungen dieser Maßnahmen auf das jeweilige Unternehmen werden Voraussetzung für eine fundierte Fortbestehensprognose sein. Was bisher schon galt, wird noch mehr in das Bewusstsein der Unternehmer und Ersteller von Fortbestehensprognosen Eingang finden: Eine Unternehmensplanung im Allgemeinen und eine Fortbestehensprognose im Besonderen ist immer nur eine Betrachtung auf Basis der zu einem Stichtag vorliegenden Informationen und ist daher – insbesondere in so bewegten Zeiten wie diesen – laufend zu warten und anzupassen.

  1. Insolvenzantragspflicht

2.1.Generell

Bei Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrunds (siehe unten, Punkt 2) ist der Schuldner gemäß § 69 Abs 1 IO verpflichtet, grundsätzlich unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen.

Das Gesetz gewährt aber eine Frist von höchstens 60 Tagen ab Eintritt des Insolvenzeröffnungsgrundes für ernstliche, aussichtsreiche Sanierungsbemühungen (also einen „letzten Sanierungsversuch“ [6]). Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags besteht daher spätestens zu jenem Zeitpunkt, wo der Geschäftsführer nach objektiven Maßstäben erkennen muss, dass eine Sanierung von vornherein nicht aussichtsreich, oder eine zunächst als aussichtsreich beurteilte und begonnene Sanierung wegen eingetretener Umstände, die ex ante nicht einkalkuliert werden konnten, keine Aussicht auf Verwirklichung mehr hatte. [7]

Eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht – also eine sogenannte „Insolvenzverschleppung“ – kann für die Verantwortlichen schwere haftungs- und strafrechtliche Folgen haben.

2.2.Insolvenzantragspflicht in der Corona-Krise

Seit der Hochwasserkatastrophe 2002 gibt es in § 69 Abs 2a IO eine Regelung, mit der die 60-Tagesfrist auf 120 Tage verdoppelt wird, wenn der Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) durch eine Naturkatastrophe eingetreten ist. Zwischenzeitig hat der Gesetzgeber nun klargestellt, dass diese Fristverlängerung auch bei einem durch die Corona-Pandemie ausgelösten Insolvenzzustand maßgeblich ist.

Zu beachten ist aber, dass sowohl die Verlängerung der Antragsfrist auf 120 Tage, als auch die Aussetzung der Antragspflicht in Deutschland, nur für jene Fälle gelten, die erst durch Corona in die Insolvenzsituation kamen. Für alle übrigen Fälle gilt unverändert die Verpflichtung unverzüglich – längstens aber binnen 60 Tagen – einen Insolvenzantrag zu stellen. Es empfiehlt sich also möglichst gut zu dokumentieren, wie Umsatzrückgänge mit Corona-bedingten Einschränkungen (Ladenöffnungszeiten, Quarantänemaßnahmen, Lieferengpässen, etc.) zusammenhängen. Dies ist auch schon deshalb ratsam, weil auch bei vielen der derzeitigen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zumindest glaubhaft zu machen ist, dass die wirtschaftliche Krise des Unternehmens auf die derzeitige Corona-Situation zurückzuführen ist.

Darüber hinaus besteht keine Antragspflicht, sofern eine insolvenzrechtliche Überschuldung (siehe oben) im Zeitraum von 01.03.2020 bis 30.06.2020 eingetreten ist (Zum Vergleich: In Deutschland wurde die Insolvenzantragspflicht vorerst generell bis 30.09.2020 ausgesetzt, wenn die Insolvenzreife auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist). Dies gilt aber nur, wenn die Gesellschaft nicht gleichzeitig auch zahlungsunfähig ist.

Der österreichische Gesetzgeber war bemüht, hier Rechtssicherheit zu schaffen. Weitere Voraussetzungen (etwa, dass der Eintritt der Überschuldung auf die Corona-Krise zurückzuführen ist) bestehen hier nicht. Liegt die Überschuldung am 30.06.2020 noch immer vor, beginnt die 60-tägige Frist für aussichtsreiche Sanierungsbemühungen zu laufen. Jedenfalls aber stehen insgesamt zumindest 120 Tage ab dem tatsächlichen Eintritt der Überschuldung zur Verfügung (je nachdem, welche Frist später endet).

Klar ist damit auch, dass die Haftung der Geschäftsleitung wegen Insolvenzverschleppung wegfällt, sofern keine Antragspflicht bestanden hat. [8]

FÜR FRAGEN ZU DIESEN THEMEN STEHEN WIR IHNEN GERNE ZUR VERFÜGUNG!


[1] OGH 19.01.2011,0 3 Ob 99/10w.

[2] Vgl KSW, Fachgutachten KFS/BW 7 zur Zahlungsunfähigkeit 12.

[3] OGH 3. 12. 1986, 1 Ob 655/86.

[4] OGH 19. 2. 2015, 6 Ob 19/15k.

[5] OGH 26. 2. 2002, 1 Ob 144/01k.

[6] Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 69 KO Rz 12.

[7] Vgl RIS-Justiz RS0059498.

[8] AB 116 BlgNR XXVII. GP 21.